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Noch mehr Friedensfeste?

von Klaus Drögemüller

Nichts bleibt so, wie es einmal war. Der Kanzler der Einheit wurde letzten Sonntag abgewählt. Nationale (und auch kommunale!) Grenzen verlieren rasant an Bedeutung. Man spricht vom "Global village", dem Globalen Dorf. Naturwissenschaftler produzieren mehr neue Fragen als Antworten, Zeit und Raum scheinen sich durch Computernetzwerke und Mulimedia aufzulösen. Schauen wir mal in eines der typischen Lachte- oder Luttertaldörfer rings um den heutigen Schauplatz: Dort leben Familien tief verwurzelt in der anderswo längst untergegangenen Agrargesellschaft, denken bäuerlich-traditionell. Die Mehrzahl unserer Bevölkerung atmet dagegen industrielle Luft von VW, Flessner, Butting oder WASA, steht aber mit einem Bein schon in der aufziehenden Informations- und Dienstleistungsgesellschaft. Erstmals in der Menschheitsgeschichte treffen sich also drei Epochen im Raum - mit einer Sprengladung gegensätzlicher Lebensstile und Zukunftsträume.

Der Chef der Hamburger Handwerkskammer hielt kürzlich einen bemerkenswerten Vortrag zum Jubiläum der Lüneburger Bezirksregierung. Ob denn die Provinz, das flache Land, zukunftsfähig sei an der Jahrtausendwende? Das Resümee: Eindeutig ja! Kleine Einheiten seien im internationalen Wettbewerb klare Gewinner, reagierten flexibler, schneller. Er sprach vom aufziehenden Zeitalter der Emotionen, in dem immer mehr im Kopf entwurzelte Weltbürger nach einem Hafen für ihre Gefühle suchten, nach einer Neuinterpretation des Begriffes Heimat. Wir Escheder können uns in diese abstrakte und komplexe Gedankenwelt seit dem tragischen 3. Juni 1 998 bestens hineinversetzen: Knapp zehntausend virtuelle Besucher hinterließen binnen eines Monats Fußspuren auf unseren gerade eröffneten Internet-Seiten, darunter Dutzende ehemalige Mitbürger die von allen Kontinenten Anteil nahmen und ihren Gefühlen angesichts der Dramatik der Ereignisse freien Lauf ließen.

Noch eine Geschichte aus jüngster Zeit fällt mir ein: Schon lange war ein bekannter Celler Knäckebrothersteller mit seinen 300 Mitarbeiter/innen zum Spielball internationaler Konzernstrategien geworden. Über Nacht fiel jetzt die erneute Verkaufsentscheidung in irgendeiner anonymen Chefetage in Chicago oder so ähnlich. Werden Eldinger und Steinhorster Familien davon betroffen, müssen sie auf moderne Weise um ihre wirtschaftliche Existenz bangen, die vor 330 Jahren noch ganz wesentlich von Eichelmast, Wind und Weiter abhing? Was ließe sich dem entgegensetzen?

Das Schlagwort: "Global denken, lokal handeln!" könnte helfen. Auch "Denken in Regionen" passt in dieses Schema. Aber: wie, wo und wer mit wem?

Hier setzt unsere Idee von dem Magischen Orten an. Es sind Kultur und gemeinsame geschichtliche Wurzeln, die den Menschen ihre Identität bewahren, wenn sich Lebensgrundlagen so fundamental wandeln, wie jetzt kurz vor der Jahrtausendwende. Magische Orte setzen Zeichen des Wandels. Die schon hinter uns liegenden Ereignisse an historischen Plätzen oder vor Traumkulissen, die geplanten Inszenierungen und Installationen an Mühlen, Brückengeländern, Lachtefurten oder in Lutter-Partien fordern zum Hinsehen und Hinhören auf. Sie verlangen eine Auseinandersetzung mit der Heimatgeschichte, mit ihren Abbildern und mit dem, was daraus an Zukunft erwachsen kann. Weil die meisten Menschen 600-seitige Dorfchroniken heutzutage zwar gern in repräsentative Schränke stellen, aber selten im Herzen bewegen, suchen die Magische-Orte-Künstler nach zeitgemäßen Interpretationen, nach Piktogrammen.
Egners Synthetischer Hirsch an der Weyhäuser Kreuzung ist ein Beispiel:
Das untergegangene Jagdschloss der Celler Herzöge im Hintergrund des Un-Tiers ist auf Anhieb ins Gedächtnis zurückgeholt worden. Man diskutiert und forscht weiter, überraschende Aspekte zeichnen sich schon ab.

Es war ein Glücksfall, dass sich engagierte Leute in Steinhorst und Eldingen, aber auch in den beteiligten Samtgemeinde-Zentralen aus dem Stand in unser grenzüberschreitendes Konzept einer Vernetzung von Eckpfeilern der Regionalgeschichte einbrachten. Und man hätte sich zum Start keine bessere Geschichte wünschen können, als jene vom Schweinekrieg.

Vielleicht steht das Friedensfest künftig für den Beginn einer zwanglosen, spannenden, von Experimentierfreude, Optimismus und Lebenslust geprägten Zusammenarbeit von rund 50 Südheide- und Heidmarkdörfern im altsächsischen Gretingau zwischen Aller, Ise und Lüßwäldern mit knapp 25.000 Menschen auf gut 600 Quadratkilometern Fläche. Das wäre in der Tat eine Vision, vor der sich niemand fürchten bräuchte, die uns aber im Standortwettbewerb - touristisch-kulturell wenigstens -neue Chancen verschaffte. Noch mehr Friedensfeste?