Hankensbüttels musischen Söhne und Töchter
In 50 Jahren wird Hankensbüttel 1000 Jahre alt. Was soll in diesem ehrwürdigen Ort ein Musentempel? - Er ist dem Musikprofessor und Schriftsteller Karl Söhle gewidmet, der sein Jungenparadies in vielen seiner Werke als "Musenbüttel" ein bleibendes Denkmal setzte. Hier hat er sich schon als kleiner Junge an der noch unberührten Natur erfreut: an vielerlei Vogelstimmen, an Schillebolden (Libellen), Buttervögeln (Schmetterlingen), Klemmhäwschen (Hirschkäfern) und Fröschen. Am Mühlbach entlang wanderte er zum Hagen, bewaffnet mit einer Botanisiertrommel, sehr zur Verwunderung der hiesigen Landbevölkerung.
Die Natur war der eine Pol in seinem Leben, der andere die Musik. Als Vierzehnjähriger hatte Karl Söhle ein Erlebnis, das sein ganzes weiteres Leben geprägt hat: ein Konzertbesuch. Er beschloss Musiker zu werden. Autodidaktisch erlernte er alle mögliche Instrumente: Klavier, Geige, Orgel, Flöte und Violoncello. Mit seinen jungen Freunden musizierte er bei dem musikliebenden Fräulein Helmrich (Bahnhofstraße, vormals Modehof). Sie spielten Haydn, Mozart und Beethoven sehr zum Missvergnügen der Nachbarn. So mussten sie ihre Musiknächte in den Wollspeicher der Domäne verlegen (heute Klosterhofmuseum). Die Musik verschlang ihn förmlich. Auch seine Ausbildung zum Lehrer über die private Präparandenanstalt des hiesigen Kontors und das Seminar in Wunstorf hielten ihn nicht von der Musik ab, leider auf Kosten der übrigen Fächer.
Nach pädagogisch wenig erfolgreichen Jahren in der Dorfschule in Ochtmannien ließ er sich nach Wittingen versetzen. Von hier knüpfte er wieder seine musikalischen Verbindungen mit Hankensbüttel an. Amtsrichter Franz Töpel war damals ein musikalischer Mittelpunkt. So oft er nur konnte, kam Karl Söhle nach Hankensbüttel, um dann bis in die Morgenstunden bei Töpel im Streichquartett zu musizieren. Diese Musikabende beschreibt Karl Söhle sehr bildhaft in seinem Buch "Musikantengeschichten" im Kapitel "Das neue Violoncello". Der Schuldienst wurde Söhle auch in Wittingen zur Qual. Franz Töpel spürte Söhles Abneigung zur Schulmeisterei und ermöglichte ihm durch ein Stipendium, dos Konservatorium in Dresden zu besuchen. An Geldproblemen und Krankheiten wie Sehnenscheiden- entzündungen der linken Griffhand scheiterte das aktive Musizieren. Doch er blieb der Musik treu: Er wurde Musikkritiker, einer der bedeutendsten in Deutschland und avancierte zum Musikprofessor.
Seine Frau Marie Berge, die in Dresden eine berühmte Gesanglehrerin war und unter anderen die Schwester des Sächsischen Königs unterrichtete, brachte in Söhles bisheriges Leben voller Irrungen und Wirrungen endlich Ordnung und Sicherheit. Dass Karl Söhle nach dem "verdorbenen" Schulmeister und Musiker ein geachteter Schriftsteller wurde, verdankt er auch ihr. Sie hatte ihn gebeten, aus dem Schatz seiner musikalischen Erfahrungen und Erlebnisse aus seiner Heideheimat Skizzen und Anekdoten zu schreiben. Diese wurden in einem Schubfach verwahrt. Ohne Söhles Wissen schickte sie eine Auswahl an den gemeinsamen Freund Ferdinand Avenarius, einen bedeutenden Schriftsteller. Eines Morgens stürzte sie zu ihrem noch im Bett liegenden Mann, in der erhobenen Hand die Zusage der Drucklegung seiner Schrift, dazu ein Vorschuss. Das war in ihrer damaligen Situation ein Himmelsgeschenk.
Karl Söhle hat sein Jungenparadies Hankensbüttel nie vergessen. Mit 83 Jahren schrieb er: "Mein geliebtes Heimatdorf in der südöstlichen Lüneburger Heide, so zwischen Celle und Uelzen gelegen, mit seiner wunderbaren alten, rings von Eichen umgebenen Kirche! So hat mir später keine andere Glocke wieder ins Herz geklungen wie die berühmte Hankensbüttler große Glocke, so viele Glocken ich in aller Welt später auch gehört habe". In seinen Büchern "Musikantengeschichten" ‚ "Schummerstunde" und "Der verdorbene Musikant" bezeichnet er Hankensbüttel als "Fichtenhagen" oder als "Musenbüttel". In seinen Briefen an seine Freunde Sauske und Lütken nennt er es auch wohl "Heideathen", wie übrigens auch Hermann Löns Hankensbüttel nannte.
Auch nach Karl Söhles Zeiten haben andere musische Töchter und Söhne die Tradition von "Musenbüttel" weiter geführt. So sorgte zum Beispiel Karl Schulze in seiner Musikschule für musikalischen Nachwuchs und spielte zusammen mit Hermann Niebuhr bei allen Festen in Hankensbüttel. Katasterdirektor Julius Gayk leitete viele Jahre den Musikverein. In seinen Konzerten brachte er auch eigene kleine Kompositionen zu Gehör. Hermann Sohl dirigierte den Männerchor und war Organist. Der zweite Musikprofessor aus Hankensbüttel war Heinrich Martens, stellvertretender Direktor der Musikakademie in Berlin. Er war der Herausgeber vieler musikwissenschaftlicher Schriften. Der dritte Musikprofessor aus Hankensbüttel war Johannes Dohms, 1. Posaunist bei den Berliner Philharmonikern und später Lehrer für Posaune an der Musikakademie Berlin. Musikprofessor Nr.4 aus Hankensbüttel ist Gerd Möller-Lorenz. Er wirkt an der Musikhochschule in Lübeck. Zurück in die Zeit nach dem 1 . Weltkrieg. Hier sei Wilhelm Glade erwähnt, begabter Organist und langjähriger Leiter des Musikvereins des Männerchors "Concordia".
Nach dem 2. Weltkrieg eröffnete das Klaviertrio mit Dr. Willy Ernst, Dr. Edgar Lütken und Heinz Burghard den musikalischen Reigen. Zu dieser Zeit wirkte Amtsrichter Wilhelm Jäger als Leiter des Musikvereins. Als musikalischer Mittelpunkt machte sich das Haus des Bankdirektors Otto Kaufmann verdient, besonders durch ein klangschönes Streichquartett, dabei Dr. Edgar Lütken als hochbegabter Geiger. Im Hause Reuter musizierte ein qualifiziertes Kammerorchester, dabei auch gelegentlich Paul Kretzschmer, ein geachteter Komponist und hervorragender Organist. Aus diesem Hause stammt auch der hochtalentierte Musiklehrer Georg Reuter, gefolgt von Hermann Ackermann, Eckhard Stever und Otto Kaufmann. Im Festkonzert anlässlich der 900-Jahrfeier Hankensbüttels mit dem Niedersächsischen Symphonieorchester spielte er als junger Musikstudent das Klavierkonzert C-Dur von Beethoven. Unter seinen vielfältigen Kompositionen erntet sein Streichquartett mit Sprecher, Sopran und Bariton bei der 750-Jahrfeier des Klosters Isenhagen reichen Beifall. Otto Kaufmann leitete lange Jahre das Isenhagener Kammerorchester. Mit dem emeritierten Musikdirektor der Landeskirche Braunschweig Karl-Heinrich Büchsel erfährt die Musikszene Hankensbüttels eine große Bereicherung.
Auch heute kann man erfreut ein reichhaltiges, aktives Musikleben in Hankensbüttel feststellen: Brunhild und Arnold Maxa haben viele kulturelle Veranstaltungen mit ihrem Duo bereichert. Die Private Musikschule unter Leitung von Roger Burmeister und das Musikhaus Kasprzyck sind für Hankensbüttel ein musikalischer Gewinn. Mehrere junge Menschen, hier seien die Kielblocks für viele genannt, stehen in der musikalischen Ausbildung. Die junge Generation darf dafür sorgen, dass das Musikleben in "Musenbüttel" auch weiterhin blüht.
Heinz Burghard
Rektor der Karl-Söhle-Schule im (Un-)Ruhestand