WARUM GERADE SCHELPLOH
Aus der Werksgeschichte der Farbenfabriken
Vor etwa 115 Jahren hatten die Chemiker Baumann und Kost in einer Fachzeitschrift ihre Studien über die Wirkung der Schwefelabkömmlinge vorgestellt und dabei ihre Beobachtungen mitgeteilt, dass Sulfone eine kräftige hypnotische Wirkung besitzen und dass sie als Schlafmittel zu gebrauchen seien. Emil Baumann, Chemiker der Farbenfabriken vorm. Friedrich Bayer & Co. Elberfeld, bekam nun Anfang Dezember 1887 den Auftrag, in Barmen an der Wupper Diaethylsulfodimetylmetnan in großen Mengen herzustellen.
In einer 1918 erschienenen Werksgeschichte wird berichtet:
"Fast mit den ersten Versuchen zur Herstellung des zu dem neuen Schlafmittel Sulfonal nötigen Rohproduktes - des Merkaptans - begannen die Schwierigkeiten durch die Nachbarschaft der Fabrik. Wir wurden erst durch die Klagen und Beschwerden darauf aufmerksam, dass der Geruch des Merkaptans in der Verdünnung unangenehmer ist, als konzentriert, und im Laufe der folgenden Wochen nahmen die Klagen über den "Katzengeruch" ;immer mehr überhand (...) und eines Morgens im April 1888 kam die heilige Hermandad und verbot strikte das weitere Arbeiten mit dem ganz Oberbarmen in Aufruhr bringenden Merkaptan. Wir waren demnach vorläufig unterlegen und mussten suchen, einen Ort zu finden, wo wir uns ungestört niederlassen konnten. (...) In Haan war seit längerer Zeit die sogenannte Giftbude frei, eine Gebäulichkeit, in der früher die Fuchsinfabriken ihre Arsenrückstände regenerierten und die uns nun als Refugium passend erschien. (...) Aber trotz aller damals erdenklichen Abzugs- und Zerstörungsvorrichtungen für die Luft der Arbeitskabinen (...) war es nicht möglich, die Fabrikation in Haan auf die Dauer aufrecht zu erhalten.
Selbst der Honig der Gegend soll den Geruch des Merkaptans angenommen haben. Die Klagen weiter Kreise erhoben sich immer nachhaltiger so dass auch hier der Betrieb eingestellt werden musste.
Es richtete sich nun der Blick auf weniger bevölkerte Gegenden, und da bei der dichten Bebauung im westlichen Deutschland kaum etwas passendes gefunden werden konnte, so kam in erster Reihe die Lüneburger Heide, als der Inbegriff aller Einsamkeit, in Betracht, nachdem auch einmal die Idee einer auf See schwimmenden Fabrik gestreift war.
Durch Vermittlung von Schoppe & Stolzenberg wurde ein Hof mit einem geldbedürftgen und deshalb wohl willfährigen Besitzer (Schelploh, Becker) gefunden. Es waren ein hübscher klarer Bach mit Wasserrad, eine Sägemühle und einige Schuppen vorhanden, eine Idylle, die ausgebaut den Grundstock der ersten Fabrikationsräume bildete. Da in dortiger Gegend anfangs nicht auf brauchbare Arbeiter zu rechnen war, so mussten etwa 20 Handwerker und Tagelöhner von Elberfeld mitgenommen werden, für deren Verpflegung aber auch Sorge zu tragen war. Es war ein fast zigeunerhaftes Dasein, bis einigermaßen geordnete Verhältnisse geschaffen waren.
Und auch die Verpflegung der vielen Menschen war eine neue Aufgabe der technischen Beamten, da auf dem Hofe selbst eigentlich nur Brot und Wasser zu haben war. So standen der Ingenieur und der Chemiker öfters am Anfang am Küchentische, um für die zum Frühstück anrückenden Handwerker Fettbrote zu streichen, bis dann später eine in höheren Semestern stehende Haushälterin dieses Amt und überhaupt die ganze Haushaltung für Chemiker und Arbeiter besorgte. Ende Juli 1888 war Ingenieur Girtler mit seinen Pionieren nach Scheploh gegangen, und etwa Mitte September wurde zum ersten Male fabriziert (...).
Dank besser eingerichteter und funktionierender Ventilations- und Zerstörungsapparate - aber auch dank der dünnbevölkerten Gegend - war nun die Fabrikation von Merkaptan und Merkaptol in ein Stadium gleichmäßigen Arbeitens gekommen. Das Schelploher Fabrikat - Merkaptol - wurde nach Elberfeld transportiert, wo es nacheinander in verschiedenartigster Apparaten zur Oxydation gelangte (...)
Hier mag nach Beschreibung der Entstehung der Schelploher Fabrik auch gleich deren Ende verzeichnet werden. Im Frühjahr 1904 brach durch Kurzschluss der elektrischen Beleuchtung Feuer aus und vernichtete alles Brennbare; das heißt überhaupt alles, denn massive Mauern hat es an der ganzen Anlage nicht gegeben, und so ragte also nur der gemauerte Schornstein als Zeuge verschwundener Herrlichkeit in die Luft, bis auch er von Pionieren gesprengt wurde.(...)
Es kam nun die Frage, ob in Schelploh weder aufgebaut werde, oder ob das Wagnis, in Leverkusen zu fabrizieren, unternommen werden solle. Die Erfahrungen der vergangenen fünfzehn Jahre und die Hoffnung, durch eine sachgemäße Konstruktion diese Erfahrungen anzuwenden, ließen es zu dem Bau eines neuen Betriebes mitten in der Fabrik in Leverkusen kommen und H. Erck!entz fabriziert nun das Merkaptol in splendid ausgestatteten Räumen, ohne dass wirkliche Klagen über Geruch in der Nachbarschaft bis jetzt zum Ausdruck kamen"
(aus: Geschichte und Entwicklung der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. Elberfeld, München 1918, S. 427 f.).