Manfred Bofinger: "Ich möchte mal was Großes, Bleibendes schaffen!"
Horst Raatsch bringt uns Bofi näher.
Manfred Bofingers Ausruf angesichts der Pyramiden ist reine Koketterie. Längst ist er einer der gefragtesten Cartoonisten, Buchgestalter und Plakatkünstler. Doch haben die Pyramiden im Hintergrund einen realen Bezug zu seinem Leben. Als Schüler wollte er wie Heinrich Schliemann seinen "Traum von Troja" verwirklichen, Archäologie studieren, bis er merkte, dass man Troja nicht noch einmal ausgraben kann. Das Interesse an der Archäologie blieb, und auf seinen Reisen nach Vorderasien oder Hinterindien stand er an vielen Stätten seinem frühen Traum gegenüber: Er, Manfred Bofinger, mit großem Bart und kleiner Brille, der meist nur liebevoll Bofi genannt wird. Und dabei wollen wir auch bleiben.
Bofinger wurde am 5. Oktober 1941 in Berlin-Mitte, also mitten in Berlin, geboren, das - auch wenn die Wohnungen wechselten - bis heute sein Zuhause ist. In der Mitte Berlins: an den Schnittpunkten zwischen Ost und West, an den Nahtstellen von politischen und - für Bofi wichtigen - kulturellen Ereignissen dieser Stadt.
Bofi wurde groß in einem einfachen Haushalt mit ausgeprägt musischen Klima. Sein Vater war Plakatmaler, und in seiner Freizeit trat er als lyrischer Tenor auf. Bofi lernte Blockflöte spielen, zu der er in besinnlichen Stunden im Familienkreis auch heute noch greift. Auf den ersten Blick eine verblüffende Vorstellung: der kräftige, bärtige Mann mit dem kleinen Instrument. Doch verrät dieses Bild viel von seinem empfindsamen Inneren. Das Zeichentalent hat er vom Vater mitbekommen. Holz- und Linolschnitte mit hehren Themen entstanden in der Schulzeit, die er am Grauen Kloster, dem ältesten Berliner Gymnasium mit humanistischer Fachrichtung, absolvierte. "Kunst machen" wurde zunehmend sein Wunsch. Ein Bekannter des Vaters riet ihm zunächst zu einer Schriftsetzerlehre. Der Beruf des Schriftsetzers war damals noch ein ausgesprochen handwerklicher Beruf, der mit der vorhandenen Fülle von Akzidenzschriften eigene interessante Gestaltungen ermöglichte. Diese Lehre kommt ihm bis heute zugute. Nach Lehrabschluss wollte er als Typograph im journalistischen Bereich arbeiten. Wieder war es der erwähnte Bekannte, der ihn zur satirischen Zeitschrift Eulenspiegel holte, wo Bofi 1961 als Volontär anfing.
Eine neue Welt tat sich vor ihm auf: die Welt des Humors und der Satire. Er bekam die Arbeiten der Karikaturisten des Blattes zum Vermaßen auf den Tisch und fand mehr und mehr Gefallen an der ironischen Sicht auf die Dinge. Einer der bekanntesten Zeichner der Zeitschrift, Karl Schrader der ihn aufmerksam beobachtete, machte ihm Mut, nicht nur bei der typographischen Arbeit zu bleiben, sondern selbst produktiv zu werden, sich umzuschauen, zuzuhören und das Aufgenommene dann in Bilder umzusetzen. Je mehr Bofi eigene Cartoons zeichnete, um so leichter fiel es ihm, sich von der epigonalen Kunstwelt seiner Schülerzeit zu verabschieden. Mit zunehmendem Erfolg machte er den Sprung in die Selbständigkeit. Seit 1968 arbeitet er als freiberuflicher Künstler.
Bofi ist ein äußerst kreativer Zeichner, der von Einfällen sprüht. Und er ist produktiv: Im Laufe der Zeit kamen zu den Cartoons Poster, Buchillustrationen und Kinderbücher hinzu. Bofi strahlt Optimismus aus. Er glaubt daran, dass die Welt durch Lachen zu verändern ist. Freundlichkeit und Ehrlichkeit verlangt er von sich wie von anderen. Denken, Nachdenken über Dinge, Neugierde sind ihm wichtig. Aus dieser Haltung heraus betrachtet er das Geschehen draußen vor der Tür. Meinungen und Handlungen unterschiedlichster Menschen finden sich in pointierter Verknappung in seinen Zeichnungen wieder. In seinen Cartoons steckt viel von der eigenen Haltung, nicht nur von dem, was er meint, sondern auch von dem, was er fühlt. Und er weiß, dass das Handwerk das eine ist, was man beherrschen muss, das andere die Erfassung typischer Situationen und deren Umsetzung ins Bild. Bofi's Cartoons verzichten auf malerisches Umfeld sie sind zupackend, direkt.
Gleichzeitig mit eigenen Cartoons begann Bofi sich Ende der sechziger Jahre mit dem Plakat zu beschäftigen. Bald setzte sich auch hier sein eigener Stil durch. Heute sind seine Plakate an Anschlagwänden und Litfasssäulen unverkennbar und unübersehbar.
Seit 1966 illustriert Bofi Bücher. Literatur in Bilder umzusetzen heißt, sich den Intentionen des Autors unterzuordnen, ohne auf eigenständige Ideen zu verzichten. Bofi's Umsetzungen von Text ins Bild sind jedem Buch bisher nützlich gewesen. Er selbst führt als ein großartiges Beispiel der Buchillustration die Zeichnungen des Franzosen Jean Effel zu den Fabeln seines Landsmannes La Fontaine an. Effels Zeichnungen sind ihm Vorbild. Auch meint er, dass Fabeln in ihrer treffenden Kürze dem Cartoon verwandt sind.
Mit viel Respekt spricht Bofi von der Zusammenarbeit Erich Kästners mit Walter Trier, weil in deren Büchern Text und Bild so genial verschmolzen sind. Und erwähnt plötzlich die schnell hingeworfenen, flüchtigen Zeichnungen von Friedrich Schiller und Friedrich Engels in ihren Tagebüchern und auf Merkzetteln. Was darin steckt an Witz und Kuriosität ist für ihn etwas so
Eigenwilliges, nicht Wiederholbares.
Den Wunsch, etwas für seine eigenen Kinder zu machen, wie einst Heinrich Hoffmann mit seinem Struwwelpeter, hat Bofi auch verspürt. Die Erfolgsliste seiner Autorenbücher für Kinder ist lang. Und manchen Einfall dafür verdankt er den kleinen, versponnen Geschichten seiner Tochter Luise. Für Kinder arbeitet Bofi heute am liebsten. Anregungen holt er sich in Hülle und Fülle bei ihnen selbst. Bei vielen Zusammentreffen zeichnet er mit ihnen, erweckt und beflügelt er ihre Phantasie beim Spiel. So erklärt sich die Lebensnähe seiner Zeichnungen über Kinder. Das pädagogische Moment überlässt er der Karikatur. Auf Gegensätze zwischen Kindern, Eltern und Schule macht er in seinen Cartoons aufmerksam, und er will mit Humor gegen sie vorgehen.
Dem genauen Betrachter wird nicht entgangen sein, dass Bofi sich in vielen Karikaturen selbst porträtiert. Er steht damit nicht allein da. Figuren, die ein Cartoonist erfindet, sind vielfach Spiegelbilder seiner selbst. Der Mann mit der kleinen Brille und dem großen Bart schaut uns öfter entgegen. Und manches Gestell aus Nickel hat der leidenschaftliche Brillensammler sich selbst zusammengelötet. Sein Bart wechselt zwar in der Länge, aber als sein Markenzeichen darf er nie ganz verschwinden.
Bofi ist ein gefragter Mann auf Symposien. Veranstaltungen und als Juror. Er folgt solchen Einladungen gern und von sich aus. Er setzt sich für den Zusammenhalt der Künstler und Bewahrenswertes in der Kunstszene ein. 1990 war er
Gründungsmitglied der Künstlervereinigung Cartoonfabrik Köpenick, ein Sammelpunkt für Karikaturisten. Er engagiert sich im Zentrum für Kinder- und Jugendliteratur. Hier fand nach der Wende erstmals eine gemeinsame Bilderbuchausstellung von Büchermachern aus Ost und West statt. Für gegenseitiges Kennenlernen in der weitverzweigten Verlagslandschaft war sie eine wichtige Begegnung. Auf einem der Treffen wurde er mit dem Berliner Zeichner F.W. Bernstein, dem wohl einzigen Professor für Karikatur und Bildergeschichten, bekannt. Zwischen ihnen entwickelte sich ein Freundschaft, heute sitzen beide über gemeinsamen Buchprojekten.
Wie entspannt sich Bofi? Ganz oben an steht seine Familie, in deren Harmonie er Ruhe und Ausgeglichenheit findet. Er geht gern ins Theater oder ins Kino, weil dort seine Sinne auf eine andere Weise als in seiner Arbeit gefordert werden. Entspannung sucht er auch in Gesprächen mit Freunden. Außerdem liebt er gutes Essen, die internationale Küche, für die er heute nicht mehr weit fahren braucht, er hat sie in seinem Kiez. Er liebt aber genauso den Eintopf und Quetschkartoffeln mit Bollenfleisch. Die phantasievolle Zubereitung der Speisen ist für ihn ebenso kreativ wie das Bildermalen. Aus seiner umfangreichen Bibliothek einzelne Bücher herauszugreifen, fällt schwer. Er findet gern zu Werken von Ungerer und Mark Twain, Loriot und Márquez, von Schäfer-Ast und Klabund zurück. Voller Stolz spricht er von seiner Sammlung alter Kinderbücher, unter denen manch bibliophile Kostbarkeit verborgen ist. Er lebt die Stimmung dieser Bücher, in ihren Schilderungen und Bildern wird ihm die vergangene Welt gegenwärtig.
Bofi reist gern. Er hat viele Länder kennen gelernt. Und er hat in Workshops in Sri Lanka bis Nicaragua bestätigt gefunden, wie international der Witz ist. Lachen über Obrigkeiten ist genauso wie Schadenfreude überall beliebt. Sie gehören zu dem ständigen Repertoire, das sich nicht verändert, aus dem jeder Karikaturist schöpft und dadurch überall verstanden wird.
Mag Bofi auch noch so weit weg sein, er findet immer wieder dorthin zurück, wo er sich am wohlsten fühlt, in der Mitte Berlins.
- mit freundlicher Genehmigung des Autors entnommen dem "Dicken Bofinger Buch". Eulenspiegel-Verlag, Berlin 1995
Nachtrag: Manfred Bofinger (* 5. Oktober 1941 in Berlin; † 8. Januar 2006) bei Wikipedia